Testfahrt in die Zukunft: Mit E-Fuel im Porsche 911
ADAC Redakteur Wolfgang Rudschies dreht eine Runde im 911 – mit dem Porsche-Entwicklungschef auf dem Beifahrersitz und synthetischem Kraftstoff im Tank. Nimmt der Motor das Gas sauber an? Und verträgt er den Sprit auch auf Dauer?
Michael Steiner nimmt die Zapfpistole und führt sie in den Tankstutzen des Porsche 911 ein. Der Kraftstoff sieht aus wie Wasser. Es ist ein synthetischer Kraftstoff. Ein Kraftstoff der Zukunft.
Und mit diesem wasserklaren synthetischen Zeug soll ein herkömmlicher Porsche 911 fahren? Verträgt er das überhaupt? Und bringt der Motor damit seine volle Leistung? Genau davon wollen wir uns bei unserer Testfahrt überzeugen. Uns erklären lassen, wo der neuartige Kraftstoff herkommt – und wie es in Zukunft damit weitergeht.
Das große Ziel: CO₂-Neutralität
Steiner ist Vorstandsmitglied bei Porsche und zuständig für alle technischen Entwicklungen der Sportwagen-Schmiede. Der Sprit, den er soeben in den 911 getankt hat, wird an der normalen Tankstelle nicht angeboten. Die verfügbaren Mengen sind äußerst begrenzt. Was den Energieträger auszeichnet, ist dessen CO₂-Neutralität.
Konkret handelt es sich um Esso Synergy Racing Fuel, den Porsche schon heute im Motorsport nutzt. Der Kraftstoff wird nicht aus Erdöl als Basis, sondern aus Zuckerrüben-Resten hergestellt. Aber das ist nur eine von sehr vielen Möglichkeiten, sogenannte Synfuels herzustellen. Letztlich sind es chemische Prozesse im Labor bzw. in einer Fabrik. Allen gemeinsam ist, dass die Menge an CO₂, die nach dem Verbrennen des Kraftstoffs im Motor aus dem Auspuff entweicht, vorher im Rohstoff gebunden worden ist.
Im Fall der Zuckerrüben heißt das: Das CO₂ haben die Rübenpflanzen während ihres Wachstums der Atmosphäre entzogen. Ein Nullsummenspiel, bilanzielle CO₂-Neutralität genannt. Die Idee dahinter: Weiterhin mit Verbrennungsmotor Auto zu fahren, ohne das Klima durch immer mehr CO₂ in der Atmosphäre zu belasten.
Allerdings funktioniere die Idee der CO₂-Neutralität bei diesem Sprit nicht zu 100, sondern nur zu 85 Prozent, erklärt Steiner. Grund: "Im Refining-Prozess wird der Kraftstoff durch sogenannte Octan-Booster fossilen Ursprungs angereichert. Mit der 15-prozentigen Beimengung wird der Kraftstoff konform mit der allgemeinen Kraftstoffnorm."
Fährt problemlos: Der 911er mit E-Fuel
Mit dieser Erkenntnis im Gepäck drehen wir eine 25-Kilometer-Runde rund um das Entwicklungszentrum von Porsche in Weissach. Wir tun das, ohne dass irgendein Passant die leiseste Ahnung davon haben könnte, dass er oder sie hier möglicherweise einem Stück Zukunft begegnet. Das Auto fährt nicht anders. Es riecht nicht anders. Es klingt nicht anders.
Der Motor zieht sauber durch, er sprotzt nicht, er stottert nicht. Steiner bekräftigt: „Vom synthetischen Kraftstoff merkt man beim Fahren im positiven Sinne nichts. Das gilt auch für das Abgas."
Von Synfuels zu E-Fuels: Ein gewaltiger Fortschritt
Aber dann kommt Steiner zum entscheidenden Problem, das mit der Herstellung biobasierter Kraftstoffe verbunden ist: „Wenn man sehr große Mengen biobasierten Kraftstoff produzieren wollte, müsste man die Pflanzen dafür extra anbauen. Über pflanzliche Reststoffe allein ist das nicht lösbar. Außerdem hätte man Düngereinsatz und Wasserverbrauch. Insofern ist der Schritt, zukünftig erneuerbare Kraftstoffe mithilfe von Wind und Sonne zu produzieren der richtige Schritt. E-Fuels sind ein gewaltiger Fortschritt.“
Schon in wenigen Jahren, so der Plan, will Porsche als Anteileigner der Firma "HIF Global LLC" E-Fuels in größeren Mengen beziehen können. Der Kraftstoff soll zunächst im Porsche Mobil 1 Supercup und anderen Leuchtturmprojekten eingesetzt werden. Erster Standort der Erzeugung ist Chile. In Chile gibt es Strom für die Elektrolyse in Hülle und Fülle. Der Wind weht dort praktisch rund um die Uhr. Der Energieertrag eines Windrades in Patagonien ist laut Porsche viermal so hoch wie der eines gleich großen Windrades in Deutschland. Der Strom kostet nur 1,5 Cent pro kWh. Mit diesem Kostenvorteil relativieren sich auch die Energieverluste bei der Umwandlung des Stroms in Wasserstoff. Und vor allem: Der Wind als Energiequelle versiegt nicht.
So werden E-Fuels hergestellt
Alles bei der E-Fuel-Herstellung dreht sich um sauberen Strom aus Wind oder Sonne. Was man sonst noch braucht um E-Fuels herzustellen ist CO₂ (aus der Luft) sowie Wasser (aus dem Meer). Und eine ganze Menge schlaue Technik(er).
Nach der E-Fuel-Erzeugung erfolgt ein weiterer wichtiger Prozessschritt vor Ort: die Methanol-Synthese. Das heißt: Aus dem gewonnenen Rohkraftstoff wird Methanol gemacht. Grund dafür: Einen flüssigen Energieträger Tausende Kilometer über die Weltmeere zu verschiffen, bis er am Bestimmungsort weiterverarbeitet und veredelt wird, ist kein Problem. Mit Erdöl wird das täglich in riesigen Mengen getan.
Der Strom kommt von Windrädern
Die Anlage in Chile fängt zunächst klein mit einem Windrad an. In der Endausbaustufe sollen es 200 Windräder sein. In Deutschland, wo 233 Menschen auf einem Quadratkilometer wohnen, wäre ein solcher Windpark nicht realisierbar. In Patagonien kommen rechnerisch auf einen Quadratkilometer ganze zwei Menschen. Das macht das Unterfangen deutlich leichter.
Der dort geerntete Strom soll so effizient wie möglich eingesetzt werden. Weshalb auch jede Form von Abwärme im Herstellungsprozess energetisch genutzt werden soll. Insofern ist Patagonien ein Lernlabor für die industrielle Massenherstellung von E-Fuels.
Warum aber nutzt Porsche den Zuckerrübensprit, wenn der nur die zweitbeste Lösung ist? Der Entwicklungschef: „Der biobasierte Kraftstoff, den wir jetzt hier bei unserer Testfahrt einsetzen, hat mehr oder weniger identische chemische Eigenschaften wie der E-Fuel, den wir dann aus Chile bekommen. Im Prüflabor haben wir gezeigt, dass es keinerlei Nachteile in Bezug auf Lebensdauer Leistung oder Emissionen gibt.“
E-Fuels ideal geeignet für Verbrennermotoren
Die Motorenverträglichkeit in Bestandsfahrzeugen sei gegeben. Alle Fahrzeuge, die heute mit Super oder Super Plus betankt werden, könnten problemlos mit E-Fuels fahren, laut Steiner. Das ist für Porsche insofern wichtig, weil das Erfolgsmodell 911 so vielleicht nicht auf Elektroantrieb umgestellt werden müsste. Voraussetzung wäre jedoch, dass der Gesetzgeber E-Fuel-Fahrzeuge als CO₂-neutral einstuft.
Ob die Verträglichkeit auch für historische Modelle wie einen Porsche 356 des Jahrgangs 1961 gegeben ist, prüft Porsche derzeit aber noch. Steiner: "Wir arbeiten darauf hin, dass Dichtungen oder Leitungen möglichst nicht ersetzt werden müssen.“ Die Vision: Wenn das technisch und regulatorisch alles gelänge, könnten auch Oldtimer-Liebhaber ihre Wochenendausflüge in Zukunft CO₂-neutral unternehmen.
Zukunftsvision: E-Fuels statt Erdöl, Gas und Kohle
Selbstverständlich bleibt Porsche dabei, dass bis 2025 die Hälfte aller Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb verkauft werden soll. Und dass der 911 mit Verbrenner eine Ausnahme im Modellprogramm bliebe. Aber der Hersteller hat auch die existierende Pkw-Flotte mit Verbrennungsmotoren im Blick. Und diese Flotte ist weltweit sehr groß. „Unsere Autos werden sehr, sehr lange gefahren“, betont Steiner. Und auch die aktuellen Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge würden zwar auf kurzen Strecken elektrisch, auf langen aber eben doch von einem Verbrenner angetrieben.
Dass E-Fuels einen ganz wichtigen Beitrag leisten, den CO₂-Fußabdruck der Bestandsfahrzeuge in der Welt zu reduzieren, davon ist Porsches Entwicklungschef fest überzeugt. Wahrscheinlich noch auf Jahrzehnte hinaus würden E-Fuels im Straßenverkehr gebraucht, bis er vollständig elektrifiziert sei. Am Schluss der Testfahrt wirft Steiner den Blick hinaus über den Tellerrand der Autoindustrie: "Wir sehen E-Fuels auch als Alternative zu den Gesamt-Importen von Kohle, Gas, und Erdöl." Das wäre noch einmal eine ganz andere Zukunftsdimension.